Fuck perfekt:

German/Deutsch:

Story Time (onece again): Vor exakt anderthalb Wochen (am 15.4.2024) habe ich wieder angefangen Beiträge auf Instagram zu teilen. Mit den ersten drein war ich auch ziemlich zufrieden, aber das weißt Du ja aus meinem letzten Blogbeitrag.

Gestern habe meinen vierten Instapost abgesetzt. Ich habe die Bilderbearbeitung gemacht und kaum hatte ich die Bildreihe hochgeladen konnte ich den Post nicht ausstehen.

Im Endeffekt will ich einen farblich harmonischen Feed auf meinem Instagram Profil kreieren, sodass man das Gefühl hat, dass alles aus einem Guss ist, auch wenn ich mit sehr unterschiedlichen Farben und Materialien arbeite. Also lade ich das erste Bild eines Posts immer zweimal hoch. Einmal krass bearbeitet und direkt dahinter nur leicht bearbeitet. So habe ich beides auf meinem Account, einen einheitlichen Feed und die „echten“ Farben meiner Bilder.

Eigentlich will ich einen Dark Academia / Grunge Vibe auf meinem Instaaccount erschaffen und irgendwie fand ich auf einmal, dass das Frontbild MEGA grünstichig geworden war. Ich musste mir den Post noch einmal ganz bewusst angucken, um mich mit ihm anfreunden zu können und mir sagen, dass es ok ist und ich den Post nicht gleich wieder löschen muss. Dass nichts und niemand von Anfang an perfekt ist und siehe da- der Post gefiel 6 Leuten.

Tja und da musste ich es einsehen, ich bin wohl doch perfektionistischer, als ich dachte…

Aber was ist eigentlich das Problem mit Perfektionismus?

Wie so viele Eigenschaften / Angewohnheiten, die nur in sehr geringem Maß nützlich sind, wird Perfektionismus in unserer Gesellschaft total romantifiziert / glorifiziert. Nach Perfektion zu streben wird als etwas Nobles betrachtet und wird daher generell als positiv empfunden. Gerade in der Kunst wurde und wird noch immer nach diesem Ding gestrebt, das man gar nicht wirklich definieren oder greifen oder gar erreichen kann.

Und weißt Du auch, warum man das nicht kann? Weil Perfekt gar nicht existiert. Perfekt ist so wankelmütig und individuell wie Menschen selbst. Zum einen kommt es auf den allgemeinen Zeitgeist an, was als perfekt wahrgenommen wird und was nicht. Zum anderen kommt es auf die Subkultur an, in der man sich bewegt und den eigenen Geschmack.

Ok und warum ist Perfektionismus jetzt genau schädlich? Wie schon gesagt eine Prise Perfektionismus kann eigentlich nicht schaden, da sie uns motiviert über unsere jetzigen Fähigkeiten hinauszuwachsen und uns zu verbessern.

Gefährlich wird Perfektionismus dann, wenn sich Selbstzweifel verfestigen, man nie etwas fertigstellt, weil man nur das unfertige Werk und nicht mehr dessen Potenzial sieht oder wenn man seine Werke nie jemand anderem zeigt, weil man zu viel Angst vor (bösartiger) Kritik hat, obwohl man als Kreativer (sicher nicht alle aber viele) eigentlich davon träumt, von seiner Kunst leben zu können. Bei letzterem schützt man sich zwar vor Trollen, Hatern und was da draußen noch alles rumkreucht, aber man verwehrt sich auch eben auf die Menschen zu treffen, die das lieben, was man erschafft. Denen es gar nicht auffällt oder es egal ist, wenn man mal aus seinem (Instagrid-)Muster fällt, die einfach feiern, was man macht, weil es ihnen gefällt.

Besonders kritisch wird es, wenn sich der Perfektionismus nicht „nur“ auf die eigene Arbeit bezieht (was, sind wir mal ehrlich, bereits mehr hinderlich ist), sondern sich auch auf andere Lebensbereiche ausdehnt. Die perfekte Morgenroutine, die perfekte Sportroutine, der perfekte Körper, das perfekte Sozialleben, die perfekte Beziehung und ja sogar der perfekte Schlaf. Und all das wie ein Schweizer Uhrwerk jeden Tag, das ganze Jahr und wehe Dir Du fällst einmal aus dem Sattel (ja als Kind war ich reiten, das wird nicht die letzte Reit-Pferdemetapher auf diesem Blog gewesen sein) dann ist ALL der Fortschritt, den Du gemacht hast, hin und Du kannst direkt von vorn anfangen!

Realistisch betrachtet ist das Leben selbst nicht perfekt. Ungeplante Dinge, die uns zunächst aufregen, da sie uns von dem abhalten, was wir ursprünglich geplant hatten, regen passieren ständig. Aber genau da liegt ja das Tolle am menschlichen Verstand. Wir können spontan reagieren, umplanen und koordinieren. Das allein ist bereits ein kreativer Akt. Egal ob Du nun irgendwie künstlerisch tätig bist oder nicht.

Und was wäre das Leben, würde es jeden Tag laufen wie ein Schweizer Uhrwerk? Einfacher? Für die meisten von uns ja. Stressfreier? Durchaus. Aber wäre es auch weniger bunt? Weniger aufregend? Scheiße ja!

Heute geht es in der Kunst mehr um Authentizität als um alles andere. Ja vielleicht war es um 1800 on vogue nicht den kleinsten Pinselstrich sehen zu können. Aber das ist heute nicht mehr von Relevanz, außer Du als Künstler willst so malen. Das ist dann aber Dein authentisches selbst und damit voll ok. „Fehler“ verbinden uns und können ein Werk erst zu dem perfekten unperfekten Ding machen, in dem sich Menschen wiedererkennen. Genau das verbindet, Künstler und Publikum, aber auch das Publikum unter sich. Und genau dafür ist Kunst im weitesten Sinne da.

Ich habe mich dafür entschieden, den Instapost, den ich gestern abgesetzt habe, nicht zu löschen. Er hat einigen Leuten gefallen, was bedeuten muss, dass er gar nicht sooo schlecht gewesen sein kann. Außerdem – sollte irgendwann ein anderer Kreativer sehen, wie ich zum tausendsten Mal neu angefangen habe und sehen, dass eben nicht alles von Anfang an perfekt sein muss und es das auch nie sein wird, fühlt er sich vielleicht nicht so unter Druck gesetzt und eher ermutigt einfach sein Ding zu machen. Und das wäre doch eine gute Sache.

Fuck perfect:

English:

Story Time (onece again): Exactly one and a half weeks ago (on April 15, 2024), I started sharing posts on Instagram again. I was pretty happy with the first three, but you know that from my last blog post already.

Yesterday I posted my fourth Instapost. I did the photo editing and as soon as I uploaded the series of pictures I couldn’t stand the post.

Ultimately, I want to create a harmonious color feed on my Instagram profile so that you have the feeling that everything is one piece, even though I work with very different colors and materials. So I always upload the first image of a post twice. Once heavily edited and immediately after that only slightly edited. That way I have both on my account, a consistent feed and the “real” colors of my paintings.

I actually want to create a dark academia / grunge vibe on my Insta account, and somehow I suddenly found that the front image had become MEGA greenish. I had to consciously look at the post again to be comfortable with it and tell myself that it’s ok and I don’t have to delete it right away. That nothing and nobody is perfect from the start, and lo and behold – 6 people liked the post.

Well, and then I had to realize that I am probably more of a perfectionist than I thought…

But what is actually the problem with perfectionism?

Like so many traits/habits that are only useful to a very limited extent, perfectionism is totally romanticized/glorified in our society. Striving for perfection is seen as something noble and is therefore generally perceived as something positive. Especially in art, this thing that cannot really be defined or grasped or even achieved has been and still is strived for.

And do you know why you can’t achieve it? Because perfect doesn’t exist. Perfect is as fickle and individual as people themselves. On the one hand, what is perceived as perfect and what is not depends on the general zeitgeist. On the other hand, it depends on the subculture in which you are and your own taste.

Ok, so why exactly is perfectionism so harmful? As already mentioned, a pinch of perfectionism can’t actually do any harm, as it motivates us to grow beyond our current abilities and improve.

Perfectionism becomes dangerous when self-doubt becomes entrenched, when you never finish anything because you only see the unfinished work and no longer its potential, or when you never show your work to anyone else because you are too afraid of ( nasty) criticism, even though as a creative (certainly not all, but many) you actually dream of being able to make a living from your art. In the last case, you protect yourself from trolls, haters and whatever else is out there, but you also deny yourself the opportunity to meet people who love what you create. People who don’t even notice or don’t care if you fall out of your (Instagram) pattern, who simply celebrate what you do because they like it.

It becomes particularly critical when perfectionism is not “only” related to one’s own work (which, let’s be honest, is already more than enough of a hindrance), but also extends to other areas of life. The perfect morning routine, the perfect sports routine, the perfect body, the perfect social life, the perfect relationship and yes, even the perfect night’s sleep. And all this like a Swiss clockwork every day, all year long and if you ever fall out of the saddle (yes, I rode as a child, that won’t be the last riding / horse metaphor on this blog) then ALL the progress you’ve made is gone, and you can start all over again!

Realistically, life itself is not perfect. Unplanned things that initially upset us because they prevent us from doing what we had originally planned happen all the time. But that’s the great thing about the human mind. We can react spontaneously, reschedule and coordinate. That in itself is a creative act already. No matter whether you are an artist or not.

And what would life be like if it ran like a Swiss clockwork every day? Easier? For most of us, yes. Less stressful? Absolutely. But would it also be less colorful? Less exciting? Fuck yes!

Today, art is more about authenticity than anything else. Yes, perhaps it was on vogue around 1800 not to be able to see even the smallest brushstroke. But that’s no longer relevant today, unless you as an artist want to paint like that. But then that’s your authentic self. “Mistakes” connect us and can turn a work into the perfect imperfect thing in which people recognize themselves. This is exactly what connects artists and their audience, but also the audience among themselves. And that’s exactly what art is for in the broadest sense.

I’ve decided not to delete the Instapost I put up yesterday. Some people liked it, which must mean that it can’t have been that bad. Besides, if another creative sees me starting over for the thousandth time and realizes that not everything has to be perfect from the start and never will be, they might feel less pressured and more encouraged to just do their thing. And that would be a good thing wouldn´t it?


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